25-06-15 Julia, die Himbeerlimonade und ich

Madame brachte Gartenkirschen von der Keramik mit.

Das Kreischen der Mauersegler ist in der Wohnung zu hören.

Es war das Ende der Woche. Ein Arbeitsfreitag und ein Samstag in Berlin-Kreuzberg. Der erste Tag des Hochsommers.

Er begann mit einem kühlen Freitagsarbeitsweg. Ich war eine halbe Stunde früher dran also sonst. Und plötzlich waren die Straßen nicht mehr voller Pendler*innen sondern voller Jogger*innen. Der kleine Sportplatz im Cheruskerpark war noch ungenutzt. Die Sonne kam erst im Laufe des Tages.

Freitag war der Hochsommer noch so frisch, dass Menschen freiwillig auf der Sonnenseite der Straße gingen. Bis Samstag hatte sich das bereits geändert.

An der Bushaltestelle ein Mann mit zotteligem Haar und Bart, etwa 30, der sein Shirt hochgezogen hatte mit den Hüften kreiste und auf seinen Sixpack zeigte. Ich fragte mich, ob das für Schöneberg noch als normal gilt oder eher nicht.

Der neueste Imbiss-Trend scheinen Steak-Döner zu sein. Vermutlich der Nachfolger des Smash-Burger. Diverse Läden eröffnen oder stehen kurz davor.

Nachdem wir seit Jahren Crêpes Suzette essen wollen, und es irgendwie nie klappt, nicht einmal in Paris, entdeckte ich, dass in Prenzlauer Berg eine ganze Crêperie namens Suzette steht, die acht oder neun flambierte Crêpes im Angebot hat. Da sollte es wohl mal funktionieren.

In der deutschen Wikipedia erschien ein Artikel zum South Park Tower. Das freut mich. Umso spannender, weil ich das Hochhaus schon in echt gesehen habe – unwissend welchen Namen es trägt.

Die Welt sollte mehr sein wie Kreuzberg

In der ehemaligen Bechstein-Klavierfabrik befindet sich heute eine Tauchschule mit eigenem Schwimmbecken. Gegenüber dem Wellenbad am Spreewaldplatz hat ein Koreaner eröffnet, der Teigtaschen mit Kimchi verkauft.

Ich wandelte durch einen Straßenblock Kreuzberg und staunte: Jeder Meter sind andere spannende Aufkleber und Graffiti. Eingänge und Häuser mit Kletterblumen bewachsen, und trotzdem halten sich immer noch Lebensmittelläden und andere Geschäfte des täglichen Bedarfs.

Auf der Straße kam mir ein Wesen in einer Art Ordensornat entgegen, das in seiner genderfluiden Großartigkeit schon fast die Mühsal der menschlichen Ebene verlassen hatte und wirkte wie direkt auf dem Weg zum Mars.

Und ich dachte, die Welt sollte mehr sein wie Kreuzberg. Dann wäre sie besser. Nicht zu 100% und überall. Aber so generell.

Alle drei Meter kam mir eine neue Romanidee in den Sinn. Ich dachte, hier sollte dringend ein Roman geschrieben werden. Dann sah ich das Straßenschild: Wiener Straße. Und natürlich hatte schon jemand die Idee.

Meine zweite Assoziation angesichts des Straßenschilds war origineller: Leitungsstörung. Unser Telekom-Anbieter schickt uns Mails, wenn an irgendeinem Schwimmbadstandort die Leitung zickt. Da steht aber nie das Bad bei, sondern nur die Straßenadresse. Eine davon ist die Wiener Straße.

Dann gilt es zu ergründen: Welches Bad? Ist das jetzt ein Problem, oder wird das Bad eh grad renoviert und steht im Rohnau? Wobei die meisten Bäder so groß sind, dass sie mehrere Adressen an verschiedenen Straßen haben. Aber der Ehrgeiz besteht natürlich, nur anhand der Adresse das Bad zu erkennen ohne nachschauen zu müssen. Und so überlege ich sofort „Welches Bad“, wenn ich Wiener Straße lese.

Aber klar, das Wellenbad am Spreewaldplatz, das dort steht, befindet sich in einer Grundsanierung. Kein Wunder, dass öfter Störungsmeldungen kommen.

Ich aber wollte ins das ehemalige Umspannwerk direkt neben der ehemaligen Desinfections-Anstalt I. Denn dort fand eine Versammlung statt.

60 von 113000

Wir waren nicht anlasslos in Kreuzberg. Wikimedia Deutschland, die Gesellschaft zur Förderung freien Wissens hatte zur Mitgliederversammlung geladen.

Die Geschichte zwischen Wikimedia und Wikipedia ist lang und kompliziert. So kommen zur MV fast keine aktiven Wikipedistas mehr; ein Großteil der Teilnehmer*innen sind pensionierte Studienrät*innen, die Wikipedia unterstützen wollen und dann vor Ort überrascht erfahren, dass Wikimedia und Wikipedia verschiedene Sachen sind.

Inzwischen wurde aber ein passendes Format gefunden: ein Abend und ein Vormittag, in dem den Mitgliedern Wikimedia erklärt wird, und ein Nachtmittag mit der eigentlichen Versammlung, in der es um Abstimmungen und Ähnliches geht.

Als Fast-Gründungsmitglied, ex-Präsidiumsmitglied und Ex-Angestellter des Vereins finde ich es ganz nett, zumindest einmal im Jahr zu schauen wie es ihm geht. Zumal ich das als Mitglied einer Zählkommission machen kann, die aus lauter Wikipedia-Veteran*innen besteht. (Danke auch an Nicole für das Kümmern darum!)

Der Verein hat inzwischen 113.000 Mitglieder, von denen sich 60 an den offenen Abstimmungen vor Ort oder im Livestream beteiligten. Zur Wahl der Kassenprüfer*innen wurden 350 Stimmen abgegeben. 112.650 Mitglieder beteiligten sich nicht.

Der Verein ist in vielerlei Hinsicht skurril. Aber es war ein sehr netter Tag. Madame lernte noch die Storck-Unternehmenskommunikation kennen. Ich hörte Musik. Vormittags in Kreuzberg, Nachmittags in der Versammlung.

(Der Rückblick-Blogpost beim Verein)

Tätowierungen und Lambdas

Wahrscheinlich war es der Kreuzberg-Vibe, der auf mich überging. Plötzlich hatte ich den Gedanken: Tattoo. Und da ich halt auch in Gedanken die ganze Zeit bei der Bachelorarbeit war, dachte ich: Warum sollte nicht die Zielfunktion meines Modells auf den Unterarm:

\[max. x_0 = 2x_{HG} + 2x_{HK} + 6x_{FI} + 3x_{FR} + 1x_{SP} + 4x_{NA} \]

Aber dann fiel mir ein, dass die Bachelorarbeits-Zielfunktion noch gar nicht 100% feststeht und in dieser Variante die Lambdas fehlen und überhaupt.

Eigentlich versuche ich ja vor allem, gerade Textmenge zu schaffen, indem ich blind Sachen herunterschreibe. In meinen Hirn steht LE langsam nicht mehr als großspurige Abkürzung für „Leipzig, fast so cool wie LA“ sondern für Kleinergleich. Auf englisch: lesser equal. In LaTeX: \le. Aber dafür brauche ich einen Monitor und einen Schreibtisch und die Gewissheit, mindestens eine halbe Stunde lang weder von Innen noch von Außen gestört zu werden.

Aber ich danke auch zu anderen Zeiten über die Arbeit nach. Quasi dauernd danke ich innerlich Gilbert Strang und Vašek Chvatal, weil sie so viele meiner Fragen beantworteten. Und neben der Tattoo-Idee beschäftigt mich noch eine andere Frage: ich muss mein Modell ja nicht nur aufstellen und erläutern, sondern auch lösen. Von Hand ist das eigentlich nicht mehr machbar.

Also braucht es technische Hilfe. Mein Ursprungsplan: Alles in R schreiben , weil ich R mag. Aber der Plan hat Probleme. R ist eine Statistiksprache und kann ein paar Sachen nicht, die ich brauche. Also kam die Idee: R und ein bißchen in der Programmiersprache Julia. Die hat native Unterstützung linearer Programme und ist für meine Zwecke wie geschaffen.

Jetzt, am Landwehrkanal, beschloss ich, R einfach R sein zu lassen, und mich nur Julia zuzuwenden. Als ich den Halluzinator fragte, ob er mir mehr zu Julia und Linearen Programmen erzählen kann, hat der mir gleich ein einfaches Modell mit einem Limonadenstand mit zwei Angeboten (Zitronenlimo und Himbeerlimo und einem variablen Zuckerpreis) sowie dessen Implementierung in Julia aufgebaut.

Ich bin ziemlich gefeit gegen zuviel-KI-in-einer-Arbeit, einfach weil ich mich weigere Sachen aufzuschreiben, die ich nicht komplett selbst verstehe. Aber ich war beeidruckt.

Neuruppin – Hochschwarzwald – Mallorca

Maik Horn fährt mit dem Traktor von Neuruppin nach Mallorca.

Frau Brüllen als Schwimmbadinfluencerin. Und natürlich habe ich mich zwei Absätze gefragt, seit wann sie Finanzratgeber liest.

Ein Gedanke zu „25-06-15 Julia, die Himbeerlimonade und ich“

  1. Kreuzberg dürfte für mich als Stickersammler ein gefährliches Pflaster sein. Ich könnte verloren gehen!
    Aber Kimchi in Teigtaschen … mmmmh!

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