25-10-07 Sauerkirsch auf Sauerbraten (Stuttgart)

Ich hörte mir staunend zu, wie ich selber sagte „Der Pinot Noir war von 2014“ – ein Satz über den ich lange nur gelästert hätte, und der doch hier ganz unprätentios gemeint war und passte.

Es war ein Tag des Feierns in Stuttgart: Eine bestandene Bachelorarbeit, ein 50. Geburtstag, zwei unterschriebene Verträge und eine vollendete Lebensabsicherung. Der deutsche Nationalfeiertag, der auch noch war, trat angesichts dieser Anlassdichte in den Hintergrund. Das war schon einen großen elf Jahre alten Spätburgunder wert.

Wir blieben bis Vormittags im Hotelzimmer. Denn es war spacig – im doppelten Sinne. Es war groß, hatte Space, und zumindest das Badezimmer hat vielleicht auch schon einmal erfolglos versucht, zum Mond zu fliegen.

Und wir hatten große Pläne, auf die der gesamte Vormittag zulief. Diese Pläne ließen es geraten erscheinen, mit eher leerem Magen angetreten zu werden.

Gegen halb zwölf begaben wir uns durch die Massen der Lederhosen- und Dirndl-Träger*innen von der Station Stadtbibliothek über den Charlottenhof bis hin zum Marienplatz. Dort warteten die beiden kirchlichen Würdenträger*innen, mit denen wir verabredet waren.

Mit der Zacke auf die halbe Strecke

Ein Stuttgarter Wahrzeichen fuhr uns hinauf zu einem anderen Wahrzeichen der Stadt. Die Zacke, die Zahnradbahn Stuttgart, fuhr uns die halbe Strecke hinauf nach Degerloch bis zu Vincent Klinks Wielandshöhe.

Uns empfingen gestärkte Tischdecken, Kellner in Uniformen und prachtvolle Blumenbouquets. Zu Klinks Überzeugungen gehört es, alles was einen Restaurantbesuch vom Alltag entfernt, zu zelebrieren. Der Meister selbst drehte zu Beginn des Mittagsservices eine Runde, begrüßte alle Gäste. Denn so will es der Anstand, und Anstand ist ein Konzept, das in der Wielandshöhe ausgeprochen hoch gehalten wird.

Obwohl uns die Website gewarnt hatte „Es geht um das Essen, nicht die Aussicht. Jeder, der hierher kommt, hat einen besonderen Anlass, versuchen sie gar nicht erst um einen Fensterplatz zu kämpfen“ blieb uns das Panoramascheibenglück hold. Wir hatten einen Ecktisch mit einer Aussicht auf das tiefer liegende Stuttgart in gleich zwei Richtungen.

Im Normalfall denke ich bei solchen Anlässen „Der Koch weiß besser was gut ist als ich, und ich bin hier, weil ich ihm vertraue – also nehme ich das Menü.“ So hielten wir es alle.

Das Menü

Um meiner späteren Erinnerung aufzuhelfen. Das Menü enthielt:

  • Gruß aus der Küche: Zwiebelkuchen
  • Vorspeise: Forellenfilet an Linsen und Beurre Blanc oder Schweinskopfsülze an mariniertem Gemüse
  • Suppe: Lauch-Kartoffel-Suppe
  • Hauptgang: Sauerbraten mit Dinkelspätzle
  • Dessert: Meringue Perdu mit Vanilleeis und Himbeeren

Als Aperitiv einen Sekt mit Zitrone? Oder war es sehr klein geschnittene Zitrone aufgegossen mit Sekt? Es gelang uns, den Kellner zu verwirren, indem wir erst zum Hauptgang Wein wünschten. Dieser war ein Friedrich Becker: Pinot Noir Schweigen von 2014. Der Dessertwein ein Joh. Jos. Prüm Graacher Himmelreich Riesling Auslese von 2019.

Die Namen der Gerichte täuschen darüber hinweg, wie beeindruckend sie waren. Einer der Leitlinien des Restaurants ist es ja, die handwerkliche traditionelle Küche am Leben zu erhalten. Aber halt auch unter dem Motto „wir lernten Kochen bei Paul Bocuse und nicht bei unseren Omas.“ Also Essen in einer Perfektion und Präzision, die die Vollzeitbeschäftigung eines eingespielten Teams voraussetzt. Und so war es.

Um die Highlights herauszugreifen:

  • Der Geruch des Sauerbratens beim Abheben der Cloche. Ich hätte ihn gar nicht essen müssen, sondern hätte ihn einfach nur 20 Minuten riechen können.
  • Der Saft(?) der Sauerkirsche, der sich beim Aufschneiden über ebenjenen Sauerbraten ergoss.
  • Das marinierte Gemüse zum Schweinekopf.
  • Der erste Schluck vom Pinot Noir.
  • Das komplette Dessert.
  • Madames leuchten in den Augen auch nach Tagen, wenn sie das Wort „Linsen“ ausspricht.

Nicht Schwimmen

Scheiterten wir daran, im Baden-Württembergischen Haus der Geschichte die Ausstellung Frei Schwimmen zu sehen. Seit dem 1. Oktober schließt das Haus normal um 17 Uhr, und das war uns zu früh. Es half auch wenig, dass Donnerstags bis 20 Uhr geöffnet gewesen wäre und freitags der Eintritt frei ist.

Gleich nebenan die Plakate für das Skandalstück Sancta, das am entsprechenden Abend lief – aber natürlich ausverkauft war.

Immerhin konnte ich meine Stuttgart-Orientierung erhöhen, indem wir zu Fuß am Landtag vorbei durch den Schlossgarten und die Königstraße bis zur Labyrinthbaustelle Stuttgart 21 und zum Europaviertel liefen. Noch zwei bis drei vergebliche Versuche, Frei Schwimmen zu besuchen, und ich werde mich in der Stadt auskennen.

Pferdezahnarzt und Menschenmaskenbildner

Verkehrte Welten. Ich trinke Spätburgunder und Carsten isst Fischbrötchen in Büsum.

Ein weiteres Sternelokal zum Vormerken, dank Julia Chishuru, westafrikanische Küche in London. Monatsrückblick September 2025: Alte Freunde, neue Risse

Sachen, von denen ich vorher nie gedacht hätte, wie spannend ich sie finde: Mit dem Pferd beim Zahnarzt.

Joel beim #FotoVorschlag mit. Thema: Handwerk. Vier schicke Fotos seiner Handwerkskunst.

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