25-01-12 Wie kann ich Salat verkaufen?

Die Autobahn Gmbh des Bundes beginnt, die Dauerbeleuchtung der Berliner Stadtautobahn abzuschalten. Ich warte darauf, dass Matthias Döpfner sich an der Rudolph-Wissel-Brücke festkettet.

Dafür beschloss jemand, unsere Treppenhausbeleuchtung auf Dauerbetrieb zu stellen. Aus Gewohnheit drücke ich trotzdem bei jedem zweiten Treppenhausgang den Lichtschalter.

Auch aus Gewohnheit wollte ich in den Südkreuz Offices wieder die Treppe nehmen. Aber ein hilfreicher Kollege erinnerte mich an die guten Vorsätze – also nahm ich brav den Fahrstuhl.

Der Fahrradmeister kehrt am 20. Januar aus dem Urlaub zurück. Am 17. Januar beginnt die BVG zu streiken. Vermutlich darf ich mich mit gestrandeten BVG-Nutzern und deren ausgebuddelten Kellergefährten um Reparaturtermine für das malade Fahrrad streiten.

Madame empfiehlt die vierte Staffel der dänischen Fernsehserie Borgen, um die politische Situation Grönlands zu verstehen. Die Staffel dreht sich um genau um das Thema Grönland und die Dänen – und wenige andere fiktionale Formate sind derart genau und präzise wenn es darum geht, echte Politik in ihrem Ablauf zu schildern.

Dumpfe Geräusche gehen des Nachts vom Haus aus. Ich vermute, Schnee rutscht von der Dachersatzplane hinab, um auf Gerüst, Nebenhaus oder Hof zu fallen. Ich versuche die Geräusche nicht allzu beunruhigend zu finden und freue mich über die schneefreie Wettervorhersage der nächsten Tage.

Nachbar 3L hat sich entschieden, seine eigene Wohnung zu kaufen. Einerseits keine schlechte Idee. Andererseits habe ich immer die Worte des ehemaligen Hausmeisters im Ohr „Abreissen! Alles abreissen! Das Haus ist nicht mehr zu retten!“.

Madame unterhielt sich mit einer Bekannten, die in Schöneberg auf halber Strecke zwischen uns und dem Kugelbombenhaus wohnt. Sie berichtete von einer Art Osterfeuer in der Silvesternacht direkt vor ihrem Erdgeschoss-Fenster – improvisiert aus Mülltonnen und dem was die Freunde des rabiaten Silvesterfestes so fanden. Am Ende brannte das Osterfeuer alleine, weil die Freunde des Böllerns weiterzogen. Dieselbe Bekannte verbringt seit Jahren Silvester in Berlin, weil sie das Gefühl hat, auf ihre Wohnung aufpassen zu müssen.

Mein Arbeitgeber investiert Geld, schickt mir (und vermutlich allen anderen Angestellten) per Briefpost eine Aufforderung, sich als Wahlhelfer zu registrieren. Ich bin kurz davor zurückzuschreiben „Bin ich doch schon längst!“ Aber das bringt mir auch nichts.

Eine halbe Stunde Meditation und Musik

Berlin ist überraschend. Entdeckte ich noch letzte Woche das Pop-Art-Brutalismus Wunderwerk U-Bahnhof-Schloßstraße, fand Madame den Noonsong in der Kirche am Hohenzollernplatz.

Der Evensong ist in der anglikanischen Kirche eine gesungene Form des Abendgottesdienstes, der in größeren Kirchen meist als Choral Evensong, also als größtenteils vom Chor gesungener Gottesdienst ausgeführt wird. Bei jedem Aufenthalt in Großbritannien ein empfehlenswertes Erlebnis.

Nach 16 Jahren in Berlin entdeckt: Es gibt einen Noonsong – also einen samstäglichen evangelischen Mittagsgottesdienst mit gesungener Liturgie – zeitlich passend zum Markt vor der Kirche und gesungen von Profisängern. Es bedurfte 697 Durchführungen bevor wir ihn entdeckten.

Überraschend: Obwohl die Veranstaltung alle Pflichtelemente der evangelischen Liturgie umfasste, gilt sie anscheinend nicht als Gottesdienst. Angekündigt wird sie als „Meditation und Musik.“

Beeindruckende Veranstaltung – beeindruckende Kirche. Leider ohne mich, denn ich bastelte an Folien.

Geistig umschalten

Hagen, die Metropole Südwestfalens, ist spannend. Ich glaube, ich habe in meinem Leben noch keine derart autogerechte Stadt erlebt. Und das sage ich als gebürtiger Hannoveraner.

Obwohl ich mit ÖPNV anreisen werde, freue ich mich auf die Stadt. Irgendwie clickte es beim letzten mal, und ich hatte mich in all ihrer Seltsamkeit in „das Tor zum Sauerland“ verliebt.

Aber die Welt schickt mich nicht nur zum Vergnügen nach Hagen. Vorher muss ich das Uni-Seminar „Angewandte Optimierung“ mit meinem Vortrag „Sensitivitätsanalyse des Begrenzungsvektors“ bestehen.

Ich versuche, mich geistig neu zu arrangieren. Nach Weihnachten in Dithmarschen, Silvester in Hannover und der letzten intensiven Arbeitswoche, versuche ich mich voll in die gedankliche Welt „Uniseminar in Hagen“ zu werfen. Es knirscht im gedanklichen Gebälk.1 Aber es wird.

Schritt 1: Meine Seminararbeit in Folien packen und dabei die Hinweise des Lehrstuhls berücksichtigen. Irgendwie hilf- aber auch arbeitsreich: „In Tabelle 2.2 ist ein Tippfehler“ oder „Überprüfen sie nochmal die Ergebnisse in Gleichung 3.7.“

Das verspricht noch einige Arbeit, deren Ergebnis am Ende vermutlich eine geänderte Ziffer irgendwo in der Tabelle sein wird.

Dabei überlegen: Stelle ich alles unter das plakative Motto „Wie kann ich Salat verkaufen“? Das wird vermutlich Anschaulichkeit und Erinnerungswert des Vortrags erhöhen. Aber vielleicht senkt es das Vertrauen in die mathematisch-wirtschaftswissenschaftliche Seriösität des Vortragenden.

Aber, da es mein Vortrag ist, werde ich ihn natürlich unter das Motto stellen.

Schritt 2: Die eigentliche Reise nach Hagen vorbereiten – insbesondere mich selbst koordinieren wann ich mit welchem Material wo sein muss. Ich fange damit an, dass ich die Präsentation in mindestens drei Kopien dabei haben möchte. Ich behalte im Hinterkopf, dass die Bildungsherberge, die mich beherbergen wird, am Ende der Welt liegt und ich ferienwohnungsartig selbst für mein Frühstück sorgen muss.

Noch weiter verbuddelt im Hinterkopf beginne ich auch schon innerlich den eigentlichen Vortrag vorzubereiten. Dafür benötige ich immerhin kein Material und kann das auch im Zug oder in der Herberge fortsetzen.

Gute Sache: Ich bin der allererste Vorturner im Seminar-Programm. Das heißt, ich bin im Mittwoch Vormittag durch und kann danach bis Samstag Spaß am Seminar und in Hagen haben.

Madame, die ja unter anderem „Selbstorgansation während des Studiums“ unterrichtet, empfiehlt als Vortragsvorbereitung Mai Thi Nguyen-Kims Vortrag So hältst du einen guten Vortrag. Ich schließe mich dem an.

The State of Wikipedia

Zwischen Arbeitsmodus und Unimodus hatte die Welt in Form von Madame einen Wikipedia-Stammtisch angesetzt. Wieder in der Resonanz, wieder in kleiner Runde und wieder extrem angenehm.

Thema: Sekundärzitäte und deren Problematik.

Thema: Als Elter möchte man nicht im Berlin in der Kneipe sitzen und dann von zu Hause aus Potsdam die Nachricht kriegen „Wo ist der Verbandskasten?“ Immerhin verlief alles glimpflich. Es war eine Blutwunde, aber keine schlimme.

Thema: Ein eisiger Wind zieht auf. Die Heritage Foundation (der Trump-nahe Think Tank) versucht den feuchten Traum jeglicher Diktatoren und Faschisten zu erfüllen: Anonyme Wikipedia-Autor*innen aufspüren und öffentlich machen, die ungenehmes Schreiben. Leider wird eine Bewegung, die sich im Umfeld von Elon Musk, Peter Thiel und den Tech-Mogulen from hell bewegt, sowohl das Geld wie auch die technische Expertise haben, um das umzusetzen.

Wir fragen uns, ob Wikimedia dem etwas entgegensetzen kann. Die Organisationen haben soviel Geld und Mitarbeiter wie – aber auch so wenig Ahnung von der Wikipedia wie es jeden Außenstehenden erschüttern würde.

Merken: Die heiße Zitrone ist echt lecker.

Wir sind keine 80 mehr

Die American Mathematical Society veröffentlicht einen Artikel: An der Wikipedia mitmachen für Mathematiker. (Princ-wiki-a Mathematica: Wikipedia Editing and Mathematics)

In Friedberg (Hessen) erfand sich ein Jugendstil-Hallenbad als Theater wieder.

Wie es der Zugbegleiterin ergeht, wenn sich Menschen vor den Zug stürzen. Hauptaufgabe: Verhindern, dass die Menschen im Zug am Rad drehen: Samstagsplausch 25/2 „Schattenseiten“

Alle 56 Parteien, die an der Bundestagswahl teilnehmen möchten. Die müssen noch vom Bundeswahlleiter zugelassen werden. Bei der DÖNER-Partei oder der iNSDAP sehe ich wenig Chancen. (via mthie)

Christa Chorherr kann schreiben Wir sind keine 80 mehr, geht aber noch mit den Enkeln in neumodische Restaurants.

  1. Etwas blöd, dass ich Montag keinen Urlaub genommen habe, und die ganzen Arbeitsgedanken noch nicht ganz so weit aus den aktiven Hirnregionen schieben kann, wie ich gerade gerne würde. ↩︎

3 Gedanken zu „25-01-12 Wie kann ich Salat verkaufen?“

  1. Hm, ich hab jetzt schon öfter was wegen Streik gelesen. Aber auf der BVG Seite ist nix zu finden. Ich hoffe der Sohn kommt die Woche ohne Probleme zur Schule, denn er schreibt Arbeiten…

    1. Ich fürchte, die BVG weiß das erst sicher, wenn ver.di zum Streik aufruft.. und ver.di wird damit bis zur letzten Sekunde warten, um eine bessere Verhandlungsposition zu haben.

      Ich hoffe ja erstmal auf kurze Warnstreiks.. und wünsche dem Sohn viel Erfolg! Sowohl beim Ankommen wie auch beim Schreiben.

  2. Gleich drei Sachen, wo ich hier anlegen kann!
    1. Habe ich festgestellt, dass die Studierendenherberge nur 1,4 km von meiner Wohnung entfernt ist!
    2. war ich als Lokführer letztes Jahr auch von einem Personenunfall betroffen und habe gelernt, dass die Zugführer*in (Also Chef*in des Zugteams) in einem solchen Fall die Aufgabe hat, sich um die Lokführer*in zu kümmern, was der Kollege in meinem Fall super gemacht hat. Er kam direkt zu mir in den Führerstand, versorgte mich mit Getränken, smalltalkte und behielt mich im Auge bis der Notfallmanager und Ersatzlokführer eintrafen.
    3. lese ich auch seit ein paar Monaten das Blog von Frau Chorherr und finden den Output dieser klugen Frau absolut beachtlich!

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