„Unsere“ Tramhaltestelle Narodowe Forum Muzyki wird in der Tram mit ihrem Namen und einigen Sekunden Geigenmusik angesagt. Ich finde das sehr charmant.
Als ich in den 1980ern in Westdeutschland in die Schule ging, besprachen wir Herrn von Ribbeck aus dem Havelland. Das Havelland war ein fernes Reich im irgendwo, zwischen Timbuktu und Shangri-La und dem Königreich der Brüder Löwenherz. Weg, hinter dem eisernen Vorhang verschwunden, ins Nichts abgetaucht.
Diese Bildungslücke schloss ich inzwischen. Der Bungalow steht in den Randgebieten des Havellands. Aber ich stelle fest, So ähnlich wie einst mit dem Havelland geht es mir heute mit Schlesien.
Ich wusste nichts! Also das Wrocław/Breslau einst zu Deutschland gehörte, war mir natürlich schon irgendwie bekannt, aber was das für einen Einfluss auf die deutsche Kulturgeschichte hatte, da war nichts. Ich weiß immer noch nichts, aber wenigstens ist mein Bewusstsein der Bildungslücke gestiegen.
Vorgestern erfuhr ich das erste Mal in meinem Leben von der Jahrhunderthalle. Heute entdeckte Madame, dass es eine Art deutscher Eiffelturm ist – sowohl von der Entstehungszeit (1913) und -anlass als auch von der Architekturgeschichtlichen Bedeutung. (Welterbe immerhin). Ich hatte nie davon gehört.
Zwischendurch überbrückten wir die Mittagshitze beim Wandeln unter der tollsten Pergola, die ich in meinem Leben sah – gestaltet vom in Deutschland nicht unbekannten Hans Poelzig.
Überhaupt: Die Vorkriegsbauten sind natürlich von preußischer Gestalt, was oft an Berlin erinnert. Und sich doch schräg anfühlt.
Spannend der Umgang vor Ort: Im Museum für zeitgenössische Kunst im Vier-Kuppel-Pavillon (auch Poelzig, auch Welterbe, auch vorgestern zum ersten Mal in meinem Leben davon erfahren) begann heute eine Ausstellung „Rococo Madness!“ über das Rokoko in Schlesien und Reaktionen zeitgenössischer Künstler*innen darauf. Phantastische Ausstellung. Aber was uns auch auffiel: Rokoko in Schlesien wurde getrieben von preußisch/deutschen-Adligen – die einfach so im Ausstellungstext erwähnt wurden ohne jede Relativierung/Kontextualisierung oder sonstwas.
Waren halt die Deutschpreußen. Genau wie es zum Beispiel in Trier die Römer waren. Ist halt lange her.
Schlesien – ein echtes Bildungsloch tat sich auf.
( Oder sei es, dass ich heute im Restaurant die urschlesische Spezialität Rinderroulade aß; bei einem Gericht mit Salzgurken als essentieller Zutat hätte mir die Herkunft auch früher auffallen können).
Mehr werde ich auch vorerst nicht erfahren, denn es ging von Breslau Hauptbahnhof nach Warschau/ Danziger Bahnhof. Als Recherche-Aufgabe blieb übrig: Clara Immerwahr-Haber.
Zum Namen: Früher sprach/schrieb ich meist von Wrocław (Poznan, Gdansk..) bis ich merkte, dass alle mir bekannten Polen von Breslau reden/schreiben, wenn sie auf deutsch kommunizieren. An sich finde ich ja, dass letztendlich die Polen festlegen sollten, wie die Stadt heißt.
Selbst in der heutigen Ausstellung in der Synagoge zum Weißen Storch (deren Macher*innen ich keine Neigung zum deutschen Nationalismus unterstelle) stand im deutschen Text Breslau.
Andererseits habe ich eine Neigung, Benennung wild zu wechseln – und dem neuen Spielzeug auf seiner virtuellem Tastatur endlich das Ł / ł beigebracht. Also Abfahrt nach Warszawa Gdańska aus von Wrocław Głowny. Die Strecke besteht aus Feldern und Wald und wenig sonst. Neben uns im IC – der Hund Carmel, als Zuglektüre weiterhin Slaughterhouse five.
Erster Eindruck nach 30 Minuten Warschau: Erinnert an die Gegend um den Alexanderplatz.