Falls jemand ein Kirchengebäude aus den 1920ern kaufen möchte: Die (ehemalige) neuapostolische Kirche Schöneberg steht zum Verkauf.
Madame meldete sich bei Reddit an und war begeistert. Gleich sofort ein gigantischer Thread zum Thema „mumifizierten Kefir wiederbeleben“.
In verwandten Nachrichten: Der Kefir lebt.
Der Fensterputzer war da. Er fluchte noch ausgiebiger über die Dach-Bauarbeiter und deren Fensterhinterlassenschaften als wir. Aber er hinterließ einen Unterschied wie Tag und Nacht – fast wortwörtlich.
Es waren zweieinhalb Werktage des Klausurlaubs. Ein Lerndienstag, treibend durch die Bibliotheken. Ein Lernmittwoch in der Wohnung mit abendlichen Ausgehen und ein halber Lerndonnerstag in der Wohnung.
Madame holte Gemüsli ab. Es liegt in einem Schöneberger Schuppen, gesichert durch ein widerspenstiges Zahlenschloss. Im Schuppen stehen dann sortenreine Kisten und sie durfte unsere Anteile selbst abwiegen, einpacken und dann einen Haken hinter „Madame“ setzen. Es gab unter anderem Zaphito (Zappho/Zappo/Zappalito)-Kürbisse, toll aussehende Fleischtomaten und zu ihrer großen Freude: KEINE Kartoffeln.
Reprise
Ein wichtiges Arbeitstool am Rechner ist der Texteditor. In dem landen Notizen aller Art, kurze Überlegungen, whatever. Seit Windows11 speichert er automatisch. Und naja, ich habe jetzt ungefähr 25 gespeicherte Dateien mit Notizen zur Bachelorarbeit geschlossen. Ein gutes Gefühl.
Die für die Arbeit ausgeliehenen Bücher aus der Feruniversitätsbibliothek Hagen liegen fertig im Paket verpackt im Flur. Langsam beginne ich mich innerlich zu lösen.
Nachbetrachtend: Die Arbeit lag inhaltlich doch ein gutes Stück außerhalb meines eigenen Komfortbereichs. Das war von mir so gewollt, hat aber zwischendurch einiges an Nerven und Arbeit gekostet. Dafür hat sich wunschgemäß mein Komfortbereich an dieser Stelle enorm erweitert.
Wenn ich jetzt noch mal anfangen würde, könnte ich viel Spaß haben und wilde Sachen machen noch viele Schnörkel einbauen – aber das wäre ja in der Komfortzone und damit per Definition langweilig.
Mikro-Ö
Nach dem Bachelurlaub ist im Klausurlaub. Nachdem ich die Reste der Bachelorarbeit weggeräumt habe, greife ich zum Ordner Mikro-Ö und hole die beiden Lehrbriefe zur Mikroökonomik hervor.
Freundlicherweise weit in meiner Komfortzone liegt inzwischen die Mikroökonomik. Denn darüber werde ich nächste Woche die Klausur schreiben. Ein Modul, das ich in seiner Machart sehr angenehm finde und das stark methodisch-mathematisch aufgebaut ist. Da zahlt es sich natürlich aus, dass ich die letzten Wochen eher intensiv mit Themen der Wirtschaftsmathematik zugebracht habe.
Und irgendwo ein schöner Kreis. War doch Mikroökonomik auch eines der vier Themen der „Einführung in die Wirtschaftswissenschaften“ in Semester eins. Die kondensierte Version dieses Moduls habe ich schon einmal ganz am Anfang des Studiums gelernt und jetzt ganz am Ende die Langversion.
Ich erinnere mich noch, wie arg mich Im Sommersemester 2022 die Cobb-Douglas-Funktion herausgefordert hat
oder die Formel zur Preiselastizität:
Jetzt kommen sie mir fast vor wie alte Freunde. Aber aufpassen: Die Klausur muss noch geschrieben werden, mit „weiß nicht so genau, aber find ich toll“ werde ich nicht durchkommen.
Neben dem Digital-Zebra
Teil eins des Klausurlaubs. Lehrbriefe nochmal durchlesen. Nachdem ich jetzt über Wochen mehr oder weniger vor den Rechner gezwungen war, freue ich mich an Materialen aus Papier, die damit gewonnene Freiheit der Mobilität, und lasse mich treiben.
Erst geht es mit dem Bus zur Staatsbibliothek Berlin Potsdamer Straße. Ich lerne: Es gibt so gut wie keine funktionierenden Spinde mehr mit Pfand – aber viele Schließfächer, die ich mit meinem mitgebrachten Schloss sichern könnte, wenn ich es dabei hätte.
Aber egal: Ins Foyer der Stabi darf ich auch mit Jacke und Tasche. Auch dort gibt es Schreibtische. Ich erwische den Platz direkt gegenüber dem Infoschalter und bekomme meine Vorurteile bestätigt, dass Bibliothekar*innen die besten Menschen der Welt sind. Sie beantworten wirklich jede Frage in einer unfassabren Freundlichkeit, von detaillierten Detailfragen zur Fernleihe bis zur Qualität der für die Öffentlichkeit geöffneten Personalkantine. („Ist dieselbe Firma wie die öffentliche Cafeteria – also auch nicht besser.“)
Also sollte ich meinen aufkommenden Hunger woanders stillen. Die Stabi liegt direkt am Potsdamer-Platz. Dessen Gastronomie ist ausgerichtet auf Menschen, die eh nie wieder kommen werden, und bei denen deshalb alles egal ist. Also lieber weiter durch die Stadt treiben lassen. Die U2 und U9 brachten mich zum Leo.
Am Leopoldplatz im Wedding ist die Schillerbibliothek – meine Bibliotheksliebe – und direkt davor das Frühstückshaus Simit Evi („das Herz der Müllerstraße„), die mir sicher ein paar Sesamringe oder andere schöne türkische Backwaren servieren werden. Aber ach: Alles zu, Fenster abgeklebt und ein einsamer Zettel: „Ab dem 1.8. 2024 vorübergehend geschlossen:“ Das sieht nicht gut aus.
Mir fiel meine Könnte-mal-Liste ein, auf der der benachbarte Safari Imbiss – Jesus is Lord steht. Aber ach, das Schild noch da, der Imbiss anscheinend auch verschwunden.
Am Ende verschlug es mich direkt auf den Leo. Dort wogt seit Jahrzehnten der Konflikt zwischen drogeninduzierter Verwahrlosung und einem umfassenden Programm den zentralen Platz des Weddings lebenswert zu machen. Ein wichtiger Standort der Lebenswert-Programme: Das Café Leo, Kieztreff mit Kaffee, kleinen Speisen und nachbarschaftlichen Aktivitäten. Da lass ich mich doch gerne bei Kaffee und Croissant nieder und schau noch dem gerade stattfindenden Miniaturrummel auf dem eigentlichen Platz zu.
Über diverse Bänke mäandere ich mich die 100 Meter zur Bibliothek, freue mich am phantasievollen Programm der Schillerbibliothek und dem tollen Lesesessel mit Panoramablick auf den Leo. Ich entdecke ein weiteres schönes Programm: Das Digital-Zebra. Ein freundlicher speziell-geschulter Bibliotheksmitarbeiter sitzt in einem abgetrennten Bereich des Lesesaals und hilft bei Digitalproblemen aller Art. Angefangen von „Mein Handy geht nicht an“ über alle Probleme mit Mail, Programmen, komischer Werbung und „das Internet will nicht mehr“ und was sonst noch im digitalen Leben schief gehen kann. Das ist doch mal löblich.
(Nur den Namen Digital-Zebra verstehe ich nicht)

Kickin‘ Shrimps
Spannende Anblicke in der U3: ein*e genderfluid*e Mensch, die Rachel Cusks Transit als Taschenbuch liest. Direkt daneben die Frau im Leopardenmusterrock mit End the Patriarchy-Beutel. Später, die Frau, die sich eine ehemalige Armbanduhr mit Metall-Gliederarmband hat als Choker herrichten lassen. „Entschuldige, darf ich Ihnen mal an den Kehlkopf schauen, um zu sehen wie spät es ist?“
Irgendwie tragisch, dass sie die einzige ist, die das Ziffernblatt nicht erkennen kann. Aber dafür trug sie noch eine Smartwatch am Arm.
Mit der U3 ging es in ein urbanes Wasteland ganz eigener Art: Zur O2– Mercedes-Benz– Uber-Arena und den Platz drumherum. Uns empfingen an der Warschauer Straße hunderte mittel aufgeregter Teenies und ein Haufen Polizei. Die Teens ballten sich um einen Geländewagen, oben schaute eine Frau heraus und machte Posen. These: Irgendjemand weltberühmtes in einer TikTok-Nische, ich konnte sie nicht richtig erkennen, hatte Zweifel ob ich schlauer würde, wenn ich sie besser sehen könnte. Die Stimmung war irgendwie seltsam, für Teenie-Auflauf überraschend ruhig.
Aufklärung brachte heute das TikTok für Generation X+, die B.Z: Die experimentell-vulgäre Rapperin Ikkimel hatte via Insta zum Videodreh geladen: Rund 450 junge Leute waren laut Polizei vor Ort. Und die warteten fröhlich und entspannt auf die Rapperin. Im Einsatz waren Einheiten der Bundes- sowie der Landespolizei. Doch Ikkimel hatte die Versammlung offensichtlich nicht angemeldet, so dass diese recht schnell für beendet erklärt wurde. Die Fans zogen dann anstandslos wieder ab.
Auf einem Foto mit Schriftzug „Ikkimel“ daneben, hätte ich sie sogar vermutlich wiedererkannt. In freier Wildbahn auf der Straße: No Chance.
Eigentlich wollten wir den Abend aber gediegener Verbringen. Ein netter Abschluss des Bachelurlaubs ließ mich meine aktuelle Verstimmung mit den US of A ignorieren und wir aßen Ribs in Tony Roma’s einzigem europäischen Lokal nördlich der Pyrenäen. Wie es sich gehört come-of-the-bone wie aus dem Bilderbuch in reichlich Schmodder und mit Lätzchen. Vorweg die wiederholenswerten Kickin‘ Shrimps, dazu Sweet Tea und Frozen Margerita. Comfort Food auf allen Ebenen.
Kommen, Gehen, Zeitablauf
Am 11. Oktober veranstaltet Schöneberg das Musikfest „Gazino und Türkischer Basar“ zur Erinnerung an den ehemligen türkischen Basar im damals stillgelegten U-Bahnhof Schöneberg. Das gibt mir die Gelegenheit noch einmal den schönen Text von Özlem Suzana Ayaydinli zu verlinken: Der Bahnhof Bülowstraße. Erinnerungen an einen vergessenen Ort
Noch lebendig das Freibad mit der besten Aussicht Berlins: taz-Sommerserie „Berlin geht baden“ (6)
Delphine gesehen, Sabbatjahr vorbei: AZ13 – Das wars!
Margrit und Wally hörten Dmitrij Kapitelman beim Poet*innenfest.
Nicht nur einer, gleich mehrere threads! Mit sinnvollen Beiträgen und alle nur wenige Tage alt. Internet wie früher, Kefir sei Dank!
Und Digital-Zebra: vielleicht helfen die einem über die Datenautobahn wie über den Zebrastreifen?
Und: die Halsuhr ging falsch und die Tasche trug keine Brille gegen das Patriarchat! Das fluide Wesen dagegen einen super Jeansoverall im starken Kontrast zur Frau mit der Jeanslatzhose, bei der seitlich kleine Speckröllchen hervortraten.
“ die Tasche trug keine Brille gegen das Patriarchat!“ ?? – Der Jeansoverall war super. Wohl wahr.
Die hatte eine runde Frauenbrille an.