Paris-Nachhall
Um diesen Post langweiligstmöglich zu beginnen, zwei Korrekturen zum letzten Post:
Das Restaurant Le train bleu liegt natürlich nicht im Gare du Nord, sondern im Gare de Lyon. Die opulenten Deckengemälde mit den Reisezielen in Südfrankreich hätten mir eine Erinnerungsstütze sein können.
Zum Jardin du Luxembourg fuhren wir nicht mit der Metro, sondern mit der RER, der Pariser Version der S-Bahn.
Ein letztes Paris-Erlebnis: Da wir Karfreitag morgens zum Zug wollten, fragten wir, ab wann Frühstück ist. „Na, um sieben. Wie jeden Tag“ – „Ist das nicht anders, weil morgen Feiertag ist?“ – Der Rezepzionist war mehr verwundert ob unserer Frage. Wir erklären, dass sich in Deutschland die Frühstückszeiten an Wochenenden und Feiertagen ändern. Er, mit einer Fassungslosigkeit tief aus der Seele: „Im Hotel???“. Hätten wir erwähnt, dass sich in Deutschen Hotels Sonntags jeder Gast selbst eine Wurststulle mitbringen muss, er hätte nicht überraschter sein können.
Trier
Aber Paris ist schon fast eine Woche her. Der Koffer mit dem Trier-Gepäck hingegen steht noch unausgepackt im Flur. Also eigentlich natürlich der Koffer, mit den Pariser und den Trierer Sachen. Denn wir fuhren von Paris mit dem TGV nach Saarbrücken und von dort mit Regios nach Trier.
So der Plan.
Regio und ein TGV fast ausschließlich in Frankreich – was soll schon schief gehen?
Krieg! Der zweite Weltkrieg. Eine Fliegerbombe. Und plötzlich fuhr unser TGV nicht mehr nach Saarbrücken, sondern nach Mannheim – mit dem Regio zwei Stunden in die falsche Richtung entfernt. Mit uns zusammen wollte der halbe TGV zurück nach Saarbrücken.
Wir sahen Szenen.. ein Regio bei dem Menschen mit Gesichtern an die Tür gedrückt standen.. Paare die sich lautstark auf dem Bahnsteig anbrüllten.. ein erwachsener Mann der mit voller Wucht auf den Tresen der genervten Warme-Semmel-Verkäuferin schlug. High Life im Regionalverkehr.
Aber mit Madame kann man selbst unter diesen Umständen gut und entspannt verreisen. Immerhin wissen wir jetzt, dass mensch bei Yormas im Bahnhof Kaiserslautern auch mal eine Stunde warten kann, direkt nebenan sogar noch eine echte Bahnhofsgaststätte existiert.
Trier, jetzt wirklich
Wir kamen an. Kellerkind holte uns am Bahnhof ab, setzte uns im Holiday Inn neben Mosel und Freibad ab und erläuterte das weitere Programm.
Drei Essen
Drei Abendessen mit Kellerkind und anderen Gästen.
Kulinarisch am bemerkenswertesten: Die Brasserie Sim, eine langsame Entwöhnung wieder vom Pariser Sieben-Gänge-Menü zum „Mittagstisch im Forum Esswirtschaft / Berlin“. Ich hatte Bouche de la mer (Königinnenpastete mit Meeresfrüchten – passend zum Karfreitag), Madame Cordon Bleu mit Münsterkäse.
Die Meeresfrüchte-Etagere mit Hummer und Austern versuchte uns. Aber die anderen, uns vorher unbekannten, waren viel zu sympathisch und spannend, um eine Etagere zwischen sie und uns zu platzieren.
Das speziellste Essen, zwei Tage später im Brauhaus: der Kellner, der mitbekam, dass es etwas zu Feiern gab und spontan Teller und Gabeln für den mitgebrachten Geburtstags- und Taufkuchen brachte und dazu noch einen Cocktail spendierte.
Drei Städte
„Immer diese römischen Sarkophage. Immer wenn wir graben, finden wir neue Sarkophage aus antiker Massenfertigung.“, klagte Bruder Gregor, „Die will schon lange kein Museum mehr haben. Aber Schreddern können wir sie auch schlecht. Also haben wir eine Garage angemietet, um sie aufzubewahren, mittlerweile stehen sie auch im Garten des Klosters.“ – Trier in a nutshell.
Die römische Stadt
Trier, die älteste Stadt Deutschlands mit der ältesten romanischen Kirche Deutschlands und der ältesten gothischen Kirche Deutschlands, Hauptstadt des römischen Galliens – und seitdem ging es irgendwie bergab.
Wir liefen mehrfach an der Porta Nigra vorbei, besichtigten die Konstantinbasilika aus dem 4. Jahrhundert und die Kaiserthermen aus ähnlicher Zeit. Letztere ein eindrückliches Beispiel dafür, dass Protzbauten auf der grünen Wiese auch um 380 n. Chr. schon beliebt waren. Was für ein Gangsystem.
Leichtes Gelächter allerdings bei allen mit der Bahn angereisten, die Triers historischen Bedeutung mit der „verkehrsgünstigen Lage“ erklärt fanden.
Die katholische Stadt
Kellerkinds Heimatgemeinde nach Wohnort feiert die Messe nach dem Tridentischen Ritus. Die traditionelle katholische Messe, die seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil abgeschafft wurde, von Papst Benedikt in engen Grenzen wieder eingeführt und unter Franziskus nur in sehr viel engeren Grenzen, in wenigen Einzelfällen unter gerade-noch-so-Duldung erlaubt wurde. Wer die Tridentische Messe feiert muss wirklich sehr davon überzeugt sein, zum konservativen Flügel des Katholikentums gehören zu wollen.
Kellerkind möchte nicht Teil dieser Gemeinde werden.
Trier, die Stadt in der an jeder Straßenecke eine historische Kirche mit lebendiger Gemeinde steht. Die Stadt, die ihrem bekanntesten Sohn, Karl Marx, die 50 Meter Straße widmete an der das Sex-Kino und die beiden Nachtbars stehen, die Stadt wo es Weihwasser in Kanistern zum Selbstabholen gibt, Trier ist besonders.
Kellerkind erzählte: Als sie damals nach Trier zog, und kurz darauf der Papst starb, läuteten 30 Minuten lang sämtliche Kirchenglocken der Stadt.
Die moderne Stadt
Wir kauften Schuhe und sahen eine Nazi-Demo. Die Stadt war über die Ostertage überfüllt. Die Chance bei Calchera, familiengeführtes italienisches Eiscafé seit 1937, einen Platz zu ergattern, waren Null.
Wir zogen weiter, fanden einen Schuh-Räumungsverkauf und waren erfolgreich. Kurz darauf fanden wir einen anderen Eiscafé-Platz bei San Marino, saßen friedlich, als plötzlich die Nazi-Demo durch die Stadt zog.
Der ehemalige Ballermann-Sänger Björn Banane – I kid you not – war Stargast einer Demo irgendwo zwischen Querdenkerdemo und waschechten Neonazis. Die Gegendemo war auch anwesend.
Er herrschte mittelschweres Weimarer-Republik-Feeling wenn man nichtsahnend in eine friedlichen Kleinstadt kommt und plötzlich linke und rechte Demos an einem vorbeiziehen. Beunruhigend: (1) Sie waren beide ungefähr gleichgroß. (2) Bei der Banane-Demo war ein ganzer Block, der optisch als gewaltbereite Neonazis erkennbar war – der die ganzen anderen Querdenker aber nicht weiter störte. (3) Der im Café herübergewehte Gesprächsfetzen vom Nachbartisch „Irgendwie haben sie ja recht.“
Wir hatten zum Glück die Gelegenheit uns auch noch länger zu den Omas gegen Rechts zu begeben und etwas mitzudemonstrieren.
Neben Nazis sahen wir auch einen Stapel Eidechsen. Das war netter.
Ein Ereignis
Aber wir waren weder nach Trier gekommen um Schuhe zu kaufen, noch im Römer zu schauen. Das katholische Trier hatte eingeladen. Nun ist Glaube etwas höchstpersönliches; der Versuch eine Glaubensmotiviation nachzuvollziehen schon von Beginn an zum Scheitern verurteilt. Und so bleibe ich beim flapsigen: Kellerkind wurde vom katholischen Trier infiltriert. Aufgewachsen in atheistisch/agnostisch/protestantischer Umgebung, hatte sie sich mit Ü30 entschieden, sich taufen zu lassen – katholisch.
Als wir hörten „Erwachsenentaufe. In einer Klosterkirche durch die Mönche. In der Osternacht“ wollten wir sofort eingeladen werden und wurden erhört.
So als quälten wir uns Nachts um 3 aus dem Bett, um uns um 4:05h vom vorbestellten Taxi zur Benediktinerabtei St. Matthias bringen zu lassen. (Mit dem einzigen Apostelgrab nördlich der Alpen – Trier natürlich). Warten auf dem Mönch.
Ein Mönch verteilte Kerzen (nicht, wie zuerste gedacht: Kaffeebecher; oder Schnapsgläser), das Osterfeier brannte.
Wir zogen in die dunkle Kirche. Es folgten zweieinhalbstunden Messe. Erst die komplette Osterfeier. Dann ein die Taufe (Kellerkind bekräftigte nachdrücklich den Glauben und widersagte dem Bösen). Dann die Tauferneuerung – Mönche verteilten Taufwasser, dass sich die anwesenden Gläubigen noch einmal aufbringen konnten; der agnoistische und evangelische Teil der Gäste verzichteten – dann ein kompletter Abendmahlsgottesdienst mitsamt Kellerkinds Erstkommunien und einem beträchtlichen Teil der ,Allerheiligenlitanei, endend mit „Heilige Scholastika, bitte für uns.“

Irgendwann zwischendurch auch noch die Firmung, zu der das Öl offensichtlicht aus dem heiligen Flachmann geschüttet und bereitet wurde.
Vorher hatte es noch Diskussionen gegeben, ob die Protestanten an der Kommunion teilnehmen können und sollen (alle Anwesenden einschließlich der Mönche im Prinzip dafür, Kirchenrecht dagegen), ich persönlich entschied mich als Freund der Formvorschrift für eine unabendmahlsliche Segnung.
Durch die Kirchenfenster zu sehen: die Verwandlung der dunklen Nacht über das Morgengrauen in den Tag.
Danach, frisch errettet und durchgefroren ein kleines Nachgottesdienstfrühstück mit der Gemeinde, danach ein größeres Frückstück mit der Klostergemeinschaft im Refektorium. Am Tisch, Bruder Gregor, ein Mensch mit dem wir noch hätten stundenlang sitzen können und wortwörtlich über Gott und die Welt reden können.
Ein Abschied, der Papst stirbt
Am Bahnsteig erfahren wir das der Papst gestorben ist. What’s App meldet – Spiegel und New York Times wissen nichts – aber Bild.de bestätigt. Als wir in den Zug steigen, beginnen die Glocken zu läuten.
southpark spielt mit ChatGPT
Auch ein Ergebnis der Reise. Ich spielte viel mit ChatGPT, schaute was geht und was nicht. Aber dazu an anderem Ort mehr. Ich hoffe, ich bin inzwischen wieder auf einem sozialverträglichen Maß des Spielen angekommen. Aber etwas müsst ihr jetzt damit durch.
Prompt1 : Erstelle mir passend zum Blogtext oben eine Illustration als Ergebnis und verschiedene Empfehlungen. Ergebnis:
Outfit-Empfehlungen (50 Jahre)
Frau: Zweireihiger Leinenmantel in Ecru mit handgestickten Details, kombiniert mit Seidentuch aus Lyon.
→ Elegant nostalgisch, kontinentales Flair; tragbar beim Stadtbummel wie zur Tauffeier im Kloster.
Mann: Marineblauer Sakko-Mantel mit Cordkragen und St. James-Schal, dazu graue Bundfaltenhose.
→ Klassisch-französischer Provinzstil, unauffällig distinguiert; passt in Trier wie Paris, auch im Regionalzug.
Kulinarik für ein Paar (50 Jahre)
Gebratener Wolfsbarsch auf Fenchel-Orangen-Bett mit Pastis-Butter, dazu Blätterteig-Tarte Tatin und ein Glas Crémant de Die.
→ Französisch ohne Überladenheit, feierlich, aber nicht prätentiös – perfekt zwischen Baptisterium und Bahnhof.
Musik
Lucrecia Dalt – „Atemporal“
→ Subtile elektronische Meditation über Zeit, Erinnerung und Identität – für späte Stunden in Klosterfluren oder auf Bahnsteigen.
Film
„The Secret of Roan Inish“ (1994) von John Sayles
→ Mythen und Realismus verschmelzen; Erinnerung, Glaube und Zugehörigkeit verankert in Landschaft und Familie – weich und weise erzählt.
📘 Roman
Ruth Gilligan – „The Butchers’ Blessing“
→ Irische Glaubens- und Übergangsriten, aufgearbeitet in einem Roman über Mütter, Märtyrer und Märkte. Wild, intim und erschütternd schön.
📗 Sachbuch
Lauren Elkin – „Flâneuse: Women Walk the City in Paris, New York, Tokyo, Venice and London“
→ Essayistischer Spaziergang durch urbane Räume aus weiblicher Perspektive. Reflexion über Öffentlichkeit, Identität und Bewegung – wie geschaffen für Paris-Nachhall-Leser:innen.

- Sinngemäß. In Wahrheit waren die Prompts etwas komplexer und auch mehr als einer. ↩︎