Neue Synagoge Posen, Bild von 2023.

23-02-02 -X-X–X

Mir träumte, dass ich zu spät zur Nachmittagsschicht an meiner Kasse im Freibad komme und wachte gehetzt auf. Dann fiel mir auf, dass es nicht nachmittags ist, die Freibäder auch noch geschlossen haben. MIt Freibadkassen habe ich beruflich sogar zu tun, sitze aber eher nicht an ihnen zum Kassieren.

Vor Schreck verschlief ich den echten Wecker. Aber da immobiler Donnerstag war, ich eh von zu Hause in der Norwegerstrickjacke arbeitete, war das nicht so tragisch. Rechtzeitig zum Rechner konnte ich mich robben.

Madame hing ihren Fahrradhelm im Geschäft an einen Rucksack.

Ich überzeugte mich selbst, dass bloggen zeitaufwendig ist. Daraufhin einigte ich mich mit mir selbst auf einen Testballon: Bloggen alle zwei Tage Dienstag, Donnerstag und am Wochenende.

Kollege R hat eine Wohnung in Tempelhof statt in Reinickendorf in Aussicht (was die Fahrzeit vermutlich um täglich anderthalb bis zwei Stunden verkürzt) und ist dementsprechend angetan. Er berichtet, dass der Wohnungsmarkt nicht mehr ganz so schlimm ist, wie Ende letzten Jahres.

Einst arbeitete ich in einem Gebäude der Berliner Architekten Cremer & Wolffenstein dem ehemaligen Verwaltungsgebäude Schienenfahrzeugfabrik Orenstein & Koppel. Dieses Architekturbüro entwarf auch die Neue Synagoge in Posen (Großpolen).

Ich bin großer Verfechter dessen, dass Schwimmbäder auch Schwimmbäder bleiben sollten und nicht in Kulturzentren, Hotels, Kunstorte und ähnliches verwandelt werden. Nie hätte ich mir träumen lassen, vor einem Ort zu stehen, bei dem die Umwandlung in ein Schwimmbad das Verbrechen ist.

Die Neue Synagoge in Posen (Großpolen) wurde 1907 eingeweiht, als Posen nach der Zweiten Polnischen Teilung zu Preußen gehörte. Sie bot Platz für 1200 Gemeindemitglieder der konservativen Gemeinde. Die liberalen Juden versammelten sich in einer kleineren Synagoge in der sogenannten Brüdergemeinde.

In den deutsch-polnischen Auseinandersetzungen um Posen orientierten sich die konservative jüdische Gemeinde Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend Richtung Deutschland und Berlin. Der Bau sollte an eine Kirche und das Berliner Kaiserforum erinnern und ausdrücklich betonen, wie sehr sich die Jüdische Gemeinde mit Deutschland verbunden fühlte. Zwischen den Weltkriegen blieb das Gebäude ungenutzt.

(Mehr zur Geschichte plus Foto im damaligen Stadtbild: Juden in Posen/Poznan – die Neue Synagoge)

Anders als die meisten deutschen Synagogen überstand das Gebäude den Zweiten Weltkrieg. Nachdem Posen und Umland bereits 1939 „judenfrei“ gemacht wurde, die 2800 Jüd*innen, die noch in der Provinz lebten nach Osten in das Generalgouvernement deportiert und später überwiegend ermordet wurden.

Aber sie überlebte in der Form, dass die Deutsche Wehrmacht es 1940 in ein Schwimmbad für Soldaten umwandelte. Das kommunistische Polen behielt das Arrangement bei. Die meisten der Besucher:innen wussten vermutlich nicht einmal, dass sie sich in einer ehemaligen Synagoge befanden. 2007 verschwand der Schriftzug „Städtisches Bad“ vom Gebäude, 2010 wurde der Schwimmbetrieb eingestellt.

Neue Synagoge Posen, Bild von 2023.
Neue Syngagoge. Die hellblaue Farbe stammt vermutlich aus der Schwimmbadzeit.

2002 kam die Synagoge zurück an die jüdische Gemeinde. Aber 50 Gemeindemitgliedern fehlen jegliche Möglichkeiten so einen Bau zu erhalten. International gab es viel Sympathie für die Gemeinde und nicht sehr viel Geld. In den 2010ern verkaufte die Gemeinde es an einen Investor, der aus der Synagoge ein Hotel machen wollte. Bis ein öffentlicher Aufschrei auch dies verhinderte und die Synagoge weiter als Ruine steht,.

Und so stehe ich mal wieder fassungslos vor dem 20. und 21. Jahrhundert und dem was Menschen anrichten können.

Mehr: Videoinstallation zur Schwimmbad-Synagoge mit Bildern aus dem Schwimmbad-Innenraum. Mehr zur Jüdischen Gemeinde Posen. Haaretz mit mehr Informationen zu What Happened to Poland’s Old Synagogues

Über Frau Kaltmamsell stieß ich auf die Leserfrage an Jawl:

Nehmen wir mal an, es gäbe Paralleluniversen und in einem anderen wärest Du an irgendeiner Stelle anders abgebogen. Wie wäre Dein Leben dort realistischerweise verlaufen?

Mein erster Gedanke war Lola rennt – einmal kurz anders abgebogen und alles wäre anders gekommen. Damals mit 17 nicht vor den Schlägern weggelaufen, sondern mich gestellt. Ich wäre Held der Schule geworden, Stefanie hätte mich erhört. Wir wären mit drei Kindern nach Düsseldorf gezogen, hätten uns verkracht. Ich würde jetzt depressiv in einer Messie-Einraumwohnung sitzen und nur ja kein Geld verdienen, um nicht ausversehen unterhaltspflichtig zu werden.

Vorhersagbarer fielen mir dann zu viele Weggabeln ein: Angefangen von „Wenn ich damals der Lehrerempfehlung gefolgt wäre und auf die Christophergymnasium Braunschweig gewechselt hätte“ über das Jahr USA (oder nicht), mehrfach andere Studienfach- und ortswahl, den Studienabbruch für die Stelle bei der taz, (Nicht-)Anmeldung bei der Wikipedia oder zuletzt eine mögliche Nicht-Bewerbung bei den Berliner Bädern. Letztendlich überfordert mich die Frage. Aber sie ist spannend.

Jetzt koche ich mich erstmal weiter durch das Miss-South-Kochbuch.