Goldlackblüten von oben. Nicht wirklich erkennbar: Fliegen darinnen.

23-05-02 Retroradeln

Zwei Kurzzeitbesucher machten mit neckischen Gesten darauf aufmerksam, dass Sommer wird. Das lange Gartenwochenende entließ mich mit je einem Mückenstich links und rechts auf Hosenbundhöhe. Ich brachte sofort den bite-away in Anschlag; in der Hoffnung, dass dieser 2023 genauso gut funktioniert wie in den Vorjahren.

Und so ist es mit den Größen- und Machtunterschieden. Was für mich zwischen neckisch und ärgerlich läuft, war für die Mücken eine Aktion zwischen Leben und Tot.

Während das Radio aus der Ferne etwas von Demos redete, erinnerte ich mich in innerer Nostalgie an die Leipziger Mai-Gegendemos gegen Mai-Nazidemos. Unvergessen diese Momente in abgelegenen Seitenstraßen mit „Jörg, das sind Nazis!“. – „Ich weiß! Auf sie!“ – „Jörg, das sind 20 Nazis und wir sind vier.“ – „Ich weiß! Auf sie!“

Im Radio sprachen Menschen derweil von der Vier-Tage-Woche. An einem recht sonnenreichen Drei-Tages-Wochenende klingt eine Vier-Tage-Arbeitswoche nach einem reizvollen Konzept.

Tatsächlich aber hatte ich mich selbst meiner Freizeit beraubt, rechnete algorithmisch vor mich hin und vertiefte mich in den Graphentheorie nach dem gebürtigen Basler Leonhard Euler. Die Einsendeaufgaben drohten. Was ich nicht gedacht hätte: Wenn ich endlich mal Mathe auf universitärem Niveau lerne, wird es darin enden, dass ich Bastelbögen dreidimensionaler pyramidenartiger Polygone ausschneide, zusammensetze und die Kanten an jedem Knoten zähle.

Der Vorteil des Informatik-Kurses dieses Semester: Der ist so abstrakt, klassisch mathematisch, dass er komplett ohne Computer auskommt. Ich muss auf Bildschirmspiegelungen keine Rücksicht nehmen. Ich kann fröhlich von der Terrasse aus auf blühende Birne und Zwetschge, brummende Hummeln, suchende Bienen und goldlacktrunkene Fliegen schauen. Nicht zu vergessen: Der aus dem Winterquartier zurückgekehrte Rotmilan, der über das Weizenfeld vor unserem Zaun segelte.

Goldlackblüten von oben. Nicht wirklich erkennbar: Fliegen darinnen.

Auf der Terrasse redeten wir aus verschiedenen Anlässen über Axel Springer SE. Unter anderem stellte Madame verwundert fest, dass ausgerechnet ntv die aus ihrer Sicht passendste Rezension von Noch Wach! veröffentlichte. Wir stellten auch fest: Manchmal ist es schwer zu glauben, dass idealo, Stepstone, Die Welt und der Springer-Club alle zum selben Konzern gehören. So krass unterschiedlich sind die Firmenkulturen dort. Wobei mein Eindruck auch ist: Je mehr ein Unternehmensteil finanziell zum Konzernergebnis beiträgt, desto angenehmer sind die Menschen dort.

Madame übererfüllte mit den Beeten 5L (komplettemang), 4L und 4R das Entkrautungsplansoll für das Wochenende. Trotz (abklingemdem) Multizip räumten wir Möbel auf die Terrasse. Der gegrillte Krustenbraten plus die Resultate unseres Spargelhof-Hofladen-Hauls reichten uns über das komplette lange Wochenende und auch noch in den Beginn der Arbeitswoche.

Auf dem Weg zum Spargelhof: Wir passierten nicht nur die üblichen Cabrios und Radreisegruppen, sondern auch einen Retro-Radgruppe. Räder, Anzüge und Kleider vermutlich neu: Alles aber erweckte den Anschein als wäre der Cast von Three Men in a Boat auf Brandenburger Straßen unterwegs; oder zumindest als wäre die Gruppe um 1910 zu ihrer Tour aufgebrochen. Wenn ich mal groß bin, mache ich nur noch so stilvoll Fahrradausflüge.

(Inzwischen gefunden: Anscheinend wurde der Ausflug vom Londoner Tweed Run inspiriert.)

Herr Buddenbohm fror in Hamburg, die Kaltmamsell wanderte bei München, Hotel Mama haderte in Berlin und Kitty Koma aß einen veganen Burger.

Ich harre gespannt dem Ergebnis, ob die BVG mich noch irgendwie mit dem Deutschlandticket versorgen wird, bevor ich es das erste Mal benötige.