23-12-28 Orwells Rosen leben noch

Sonne – Wasser- frische Kakis vom Baum – ab dem zweiten Weihnachtstag begann die vorsichtige Rückwendung zur Welt da draußen.

Die große Tischplatte verschwand wieder im Keller.

Nach dem Bahnenziehen im Hallenbad Lörrach stellte ich fest, noch nie die legendäre Hauptstraße Weil am Rhein gesehen zu haben. Wir stiegen spontan vor dem Hallenbad in den Bus, passierten zwei Staatsgrenzen, stiegen wieder aus und wanderten die Hauptstraße ab – vom Leinen-Fachgeschäft und dem Märklin-Laden bis hin zu dutzendweise türkischen und chinesischen Restaurants, badischen Fleischereien und Bäckern. Die Schweiz is near.

Am Ende der Straße liegen Kaufring, der Endpunkt der Basler Tram und der traurige Abstieg zum Bahnhof. Einst der wichtigste (Güter-)bahnhof in hunderten Kilometern Umkreis, der Weil zur Eisenbahnerstadt machte. Und jetzt, zwei traurige Gleise, kaum auffindbar, an denen gelegentlich mal eine S-Bahn oder ein Regio hält.

Die S5 brachte uns zurück nach Lörrach Grand Central.

Rombitombi stieß sich den Kopf am Klavierpedal.

Mannheim ist laut Bahnhof Mannheim eine „Eishockeystadt.“

Kurz fasste ich den Plan, Silvester und Neujahr kein Uni-Skript anzuschauen, denn es ist Feiertag. Dann dachte ich: „Bin ich bescheuert? Mir macht das ja Spaß. Mir Spaß entsagen, weil Feiertag ist. Soweit kommt’s noch.“

Die Deutsche Bahn is on a run. Auf meiner Rückfahrt war wie immer der physische Zug defekt, der die deutsch-Schweizer-Grenze überqueren sollte. Aber die Bahn war in der Lage, rechtzeitig fahrenden Ersatz bereitzustellen. Gar als Uprade sehe ich es, dass meine IC-Fahrkarte Basel-Mannheim nun von einer ICE-Garnitur bedient wurde. (IC2870 – Ad-hoc-Zug ersetzte EC6 – Deutschland-Schweiz)

Ab Mannheim ging es weiter wie gebucht. Ich hatte mir für insgesamt 62 Euro (mit Reservierung; ohne Rotwein) des Luxus eines 1-Klasse-Supersparpreises Basel-Bad->Südkreuz geleistet und Rotwein-an-den-Sitz im ICE594 (Linie 11 ICE München–Stuttgart–Frankfurt–Erfurt–Berlin); daran könnte ich mich gewöhnen.

Vorher aber galt es, Weihnachten fertig zu feiern. Mit Kuchenresten, Hühnerfrikassee in Pastetchen, gemeinsamem Youtube-sehen und dem Empfang weiterer Familienteile, die auf ihrem eigenen Feierrückweg im Markgräflerland vorbeischauten.

Billet – Nicht-Billet – Fast-Billet

Nach Weil brachte uns das Deutschlandticket. Ich schätze es, irgendwo in Deutschland an einer Bushaltestelle zu stehen, zu denken „Ach, wäre praktisch“. Und weder muss ich ergründen welche Tarifzonen der Bus passieren wird, noch ob die Fahrerin mir überhaupt gegen Bargeld ein Ticket verkauft, noch sonstwas. Sehr sehr schön.

Auch schön: Das erste Mal seit Umstellung der DB-App funktionierte mein Komfort-Check-Inn.

Weniger Erfolg mit den Tickets, hatte ein Gast in meinem ICE. Der Zugbegleiter, unweihnachtlich-streng orientiert, ließ den Gast in Erfurt von 4 Bundespolizist*innen aus dem Zug hinausbegleiten. Der Versuch, mit dem „Screenshot eines abgelaufenen Deutschlandtickets“ unbemerkt 1. Klasse ICE zu fahren, war vielleicht doch zu sportlich. Da kein Ausweis = Polizei.

Kurz vor Berlin das nächste Zugbegleiterdrama. Zwei Personen hatten versucht, Bahnbonus-Punkte in Freifahrten umzuwechseln. Soweit ich der Diskussion gewahr wurde, hatten sie bezahlt, aber formal nicht korrekt gebucht. Folge: Eine von beiden hatte technisch kein gültiges Ticket. Zugbegleiter 1 hat es nicht bemerkt (bemerken wollen) und die beiden eingecheckt.

Bei allen weiteren Konrollen galten ihre Plätze als „schon kontrolliert“. Kein Problem.

Hinter Leipzig leerte sich der Zug. Eine der beiden Personen setzte sich auf einen anderen Platz. Das provozierte eine neue Kontrolle. Ergebnis: Ungültiges Ticket. Großes Drama. Der Zugbegleiter wollte „nur“ die Daten aufnehmen und das ganze wegen „ist kompliziert und wir sind in 10 Minuten in Berlin“ zur Entscheidung an die Zentrale weitergeben. Die beiden Fahrenden fühlten sich des Schwarzfahrens bezichtigt und waren entsprechend aufgewühlt.

Ich dachte gleichzeitig „Ey, Weihnachten. 22:30h; kein böser Wille; in 20 Minuten ist der Zug am Endbahnhof. Die beiden sitzen problemlos seit Stuttgart im Zug. Ein Auge zudrücken?“ und „Ey, ihr habt genug Bahnbonus-Punkte für zwei 1.-Klasse-Freifahrten quer durch Deutschland; da darf man auch ein bißchen Bahn-Erfahrung und -Kompetenz bei der Buchung erwarten.“

Ein weiterer Fahrgast sprach den Auge-Zudrücken-Gedanken laut aus, und alles eskalierte noch weiter.

*Der Autor seufzt*

Die Pfeife fehlte

Wenn nicht Sitz-externes Drama meine Aufmerksamkeit auf sich zog, schaltete ich gelegentlich das Handy live. Und ab Fulda trötete jedes mal eine neue Katwarn-Hochwassermeldung eines anderen Landkreises auf. Wasser sah ich keines, Nachts ist es dunkler als draußen.

Untrötend konnte ich bei den Nachbarn linsen. Es wurde gelesen: ich konnte drei Sitze einsehen, auf dreien war ein Buch in Nutzung: (1) Das dritte Herz des Oktopus (2) School of Life (3) 1984.

Auch ich las:

  • „Spektrum der Wissenschaft“ (u.a. wie man an zufällig bekannten Seriennummern die Gesamtgröße einer Serie abschätzen kann. Auch online: German Tank Problem).
  • Natürlich das Mathe-Skript. Über die Feiertage hatte ich, vom Flow überströmt, teilweise drei, vier Seiten am Stück gelesen und fand das schon beim Lesen suspekt. Es zeigte sich: natürlich blieben Lücken. Also backtracking im gewohnten Tempo: eine Seite lesen. Dann mindestens 20 Minuten die Konzentrationsfähigkeit regenieren. So zockelte ich durch die Homomorphismen.
  • Das Theoretische-Informatik-Buch. Da das „extern“ und nicht prüfungsrelevant ist, erlaube ich mir hier schnelleres Lesen auf Lücke. Immerhin brachte es die schöne Formel:

|- (A -> ((A -> A) -> A)) -> ((A -> (A -> A)) -> (A -> A))

  • (Ein Teil einer formalen Fingerübung für das Hilbert-Kalkül, mit dem hier nachgewiesen wird, dass der Satz „Wenn A, dann A – formal: A -> A“ allgemeingültig ist.)
  • Vor allem las ich Orwell’s Roses. Essays über George Orwell, Gärtnern, Rosen, Orwell und Gärtnern, Gärtnern und Schreiben, Schreiben-als-Beruf, Nazis, Sozialismus und Cox Orange. In anderen Worten: ein Buch von dem ich wünschte, ich hätte es geschrieben haben würden. Leider bin ich schon an dem Punkt, an dem ich Angst habe, weiter zu lesen, DENN DANN IST ES JA BALD ZU ENDE!!!
  • Auch mit Zitat: „Most of writing is thinking, not typing.“ Bestärkt meinen Vorsatz für 2024, mehr Zeit und Gelegenheit zum Denken und Träumen zu finden.

Silent night, lonely night

Kurz hatte im Raum gestanden, dass wir den Freiluft-Weihnachtsgottesdienst in Stetten besuchen. Was nicht passierte. Aber ein Blogbeitrag zum Gottesdienst existiert dennoch: So war mein Weihnachten 2023, ein Open Air Gottesdienst

Weihnachten allein versus Weihnachten einsam: So, 24.12.2023 – Holynight

Von selbstgeschaffenen Weihnachtstraditionen: Weihnachten und die Weihnachtszeit bei den Farnientes

Heiligabend mit Turkuer Friedensgruß: Heiligabend 2023

Schon einen Schritt weiter beim Thema Jahresrückblick. Rezepte nach CO2: Foodblog-Bilanz 2023: Das Jahr bei Klimafreundlicher Kochen

Der heutige Beitrag zum Thema „Ey, Berlin, WTF?“:

Seit vielen Jahren gibt es die Forderung, den Nahverkehr auf der Straße zu beschleunigen. Warum hat sich so wenig getan?
Ich weiß es selbst nicht. 2006 wurden für die Fußballweltmeisterschaft Vorrangschaltungen für die Straßenbahn abgeschaltet. Das sollte damals nur für das Turnier gelten. Doch die Vorrangschaltungen sind bis heute nicht wieder alle in Betrieb. Das ist einfach absurd

Ganzes Tagesspiegel-(Paywall)-Interview: Experte rechnet mit Berlins Verkehrspolitik ab: „Der Fokus auf das Fahrrad macht Dinge kaputt“