Das Theater Chemnitz sagte unsere Vorstellung ab, die wir für Freitag buchten: Krankheitsbedingt. Das ist praktisch.
Die Zeiträume, in denen ich schlafen kann, ohne mich mit einem epischen Hustenanfall selbst zu wecken, verlängern sich von 50 Minuten auf 4 Stunden. Die Halsschmerzen entwickeln sich vom aufmerksamkeitsfordernden Dauerzustand zum Ibuprofen-empfänglichen Hintergrundrauschen. Ich kann zwei Sätze am Stück reden, ohne dass Gefühl zu haben, meine Stimme für den nächsten halben Tag zu schreddern. Meine Konzentration reicht in Maßen für leichtes Fernsehen. (Taskmaster)
Es geht aufwärts.
Wie es sich gehört, lies sich im Anschluss in Haushalt die Halsentzündung doppelter Bewegung sehen: bei mir aufwärts, bei Madame abwärts. Irgendwann in der Nacht von Sonntag auf Montag trafen sich die Kurven, Montag ging es Madame schlechter als mir. Wir haben die Hoffnung: Es hat sie weniger stark erwischt, sie wird schneller wieder auf die Beine kommen.
Vielleicht beiderseitiges Annähern an den Normalzustand zum Wochenende.
Derzeit: Wohnungshüten, schlafen und ernähren von vorgecrockter Rindfleischsuppe.
Meine Weltwahrnehmung nimmt zu. So steht zum Beispiel in drei Metern Höhe ein Paar Doc Martens auf unserem Baugerüst. Das könnte das Rätsel lösen, warum Samstagnacht um drei Uhr morgens zwei Junge Männer am Gerüst herum lärmten. Allerdings werfen die beiden Doc Martens auf dem Gerüst auch verschiedene Fragen auf.
Temporäre Weltwahrnehmung ermöglicht Papierzeitungslektüre.
Wie stets staune ich über die FAS. Die fordert vorne im Politik- und Wirtschaftsteil, dass auch die letzte chronisch kranke alleinerziehende Bürgergeldempfängerin sich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellt. Zehn Seiten weiter hinten, bei Wert & Wohnen, allerdings wird minutiös ausgerechnet, wie mensch als qualifizierter Hochverdiener mit Mitte 40 in den privaten Ruhestand gehen und sich dem Arbeitsmarkt entziehen soll. Das ist der Sound jeder zweiten FAS-Ausgabe.
Seltener und fast verwunderlicher diese Woche. Der Disclaimer; unter dem Artikel „Warum links nicht mehr sexy ist“1 . Dort weist die Redaktion darauf hin: „Dieser Text versteht sich als Debattenbeitrag. Er erhebt keinen Anspruch auf vollständige Abbildung der Wirklichkeit.“
Was sofort die Frage aufwirft: Die anderen FAS-Texte erheben den Anspruch vollständiger Abbildung der Wirklichkeit?
Im Radio gehört: Die Diskussion über die Krankschreibung per Telefon. Kurz danach sah ich in einer Praxis die Praxis. Madame hatte mir noch einen Termin ergattert. Unter dem Laufband „Einzeln eintreten / entrare individualmente“ konnte ich eine Stunde lang die Schlange vorm Empfangstresen beobachten. In 90% der Fälle spielte sich dasselbe Gespräch ab: „Termin?“ – „Nein.“ – „Warum sind sie hier?“ – „AU.“ – „Gehen sie wieder nach Haus. Der Arzt ruft sie nach 12 an.“
Mir war vollkommen unklar, wann er alle Anrufe durchführen wollte, ohne dabei wahnsinnig zu werden. All‘ diese Menschen persönlich in der Praxis wartend an dem Tag – Chaos! Kollaps!
Digitaler U-Bahn-Arzt
Besondere Umstände erzwingen die Fahrt zum Hausarzt. Entdeckung: ich habe einen neuen Hausarzt. Mein ehemaliger Doktor residierte um die Ecke, hatte weder Sprechstundenhilfe noch Terminvergabe: Mensch kam, wartete ein wenig, und wurde dann gut behandelt.
Aber der Arzt wurde schneller älter als man selber. Die Öffnungszeiten schrumpften. Dann gab es eine Praxiskooperation. Erst kam eine Dottoressa zum Hausarzt in die Praxis. Dann zog der Doktor zu Dottoressa und Dottore. Meine Anreise verlängerte sich von um-die-Ecke-schlurfen zu vier-Stationen-mit-der-U-Bahn-zum Nollendorfplatz.
Derzeit ist der (ehemalige) Hausarzt länger abwesend, Kommentar in der Praxis „Er ist älter als man denkt.“
Also zum Dottore. Der ist nicht nur Italiener sondern auch in vielem das Gegenteil vom Doktor: Freund der aufwendigen Organisation und Digitalisierung, offenbar davon träumend eine komplexe Großpraxis zu bauen, die sich komplett selbst organisieren kann, während die Ärzte nur behandeln.
Das angenehme: Was die Behandlung angeht, war er trotz Montag-Morgen-Erköltungszeit-Chaos außerhalb des Behandlungszimmers genauso entspannt und aufmerksam wie der Doktor. Er zeigte, dass man auch auf eine andere Art genauso wahnsinnig freundlich und vertrauenserweckend sein kann.
Dabei scheint er mir einige Jahre jünger als ich selbst. Das erhöht die Hoffnung, dass er noch länger durchhält bevor die Rente kommt.
Auf allen Ebenen war das sehr positiv.
Kaukasus-Zwergspitzmaus
Kate Bush und Jim Kay erschufen einen Zeichentrickfilm über eine Kaukasische-Zwergspitzmaus (in English auch Ukrainian shrew) in einer kriegszerstörten Stadt. Unterlegt mit dem Song Snowflake, geschrieben von Kate Bush – gesungen von Bushs Sohn in seiner Kinderstimme.
Unglaublich schön und schlimm zugleich.
Bei Kate Bush mehr zum Hintergrund: Meet litte Shrew.
- Anscheinend gar nicht online. Nicht mal per Paywall. ↩︎
Hier der Link auf den Film bei YT:
https://youtu.be/gXUkSiV4Jzs
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Ah, oh, danke. Ich hab den Link oben getauscht.